In Zeiten des Fachkräftemangels entdecken Start-ups ein neues Geschäftsmodell: Sie vermitteln, beraten und betreuen Spezialisten aus dem Ausland.
Von Christian Wermke und Stefani Hergert
Unternehmen wie Internations haben die Fachkräfte aus dem Ausland als Zielgruppe entdeckt. Sie bieten maßgeschneiderte Angebote für die Zuwanderer oder die Unternehmen, die sie einstellen. Denn jemanden zu finden und anzuheuern ist nur der erste Schritt – viel schwieriger ist es, die neuen Kollegen auch zu halten.
Die Start-ups machen aus der Not ein neues Geschäftsmodell. Denn seit den 70er-Jahren bekommen die Deutschen zu wenig Kinder. Die Folge sind nicht nur düstere Prognosen für die Renten– und Sozialkassen, sondern auch eine immer größer werdende Lücke auf dem Arbeitsmarkt. Derzeit fehlen laut dem Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW) allein mehr als 117 000 Spezialisten aus den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik. Deutschland braucht aber auch Krankenpfleger, Erzieher und Ärzte. Bis 2025 könnten dem Arbeitsmarkt rund 6,5 Millionen Menschen weniger zur Verfügung stehen als heute, hat die Bundesagentur für Arbeit errechnet.Die Zuwanderer vor allem aus den europäischen Krisenländern, von denen immer mehr das Leben und Arbeiten in Deutschland als einen Weg aus der Arbeits– und Perspektivlosigkeit in der Heimat sehen, sind also eigentlich hochwillkommen. Laut den jüngsten Zahlen vom Statistischen Bundesamt hat Deutschland 2013 nach Abzug derer, die weggezogen sind, rund 460 000 Neubürger aus dem Ausland bekommen.
Das Land der Dichter und Denker ist damit hinter den USA Einwanderungsland Nummer zwei innerhalb der Industriestaaten-Organisation OECD. Hinzu kommt, dass die Zuwanderer immer besser ausgebildet sind. Das Problem allerdings: Nur jeder Zweite der 2012 Zugewanderten blieb laut OECD länger als ein Jahr, von denen, die 2011 ins Land kamen, war es nur jeder Dritte.
Denn eine wirkliche Willkommenskultur kennt Deutschland nicht, es ist mühsam, sich auf den Gängen von Behörden, Ämtern und Einrichtungen zurechtzufinden, den richtigen Ansprechpartner für den Umzug, Sprachkurs oder die Anerkennung der Ausbildung und Zeugnisse auszumachen.
Arbeitsmarktexperten wie Axel Plünnecke vom IW sind überzeugt, dass vor allem kleinere und mittlere Unternehmen ihre neuen Mitarbeiter dabei nicht komplett unterstützen können, obwohl sie in den nächsten Jahren wohl am stärksten vom Fachkräftemangel betroffen sein werden. “Hier gibt es einen Bedarf”, sagt Plünnecke. Vor allem für Start-ups, die sich auf bestimmte Berufsbilder, Branchen und Regionen spezialisieren. Wie groß der Markt werden könnte, hängt von der Politik ab. “Wenn sich Deutschland stärker für Ausländer aus Nicht-EU-Staaten öffnet, ist das Potenzial erheblich”, sagt Alexander Kritikos, Gründerforscher am DIW in Berlin.
Zwar helfen auch die Außenhandelskammern, geeignete Bewerber zu finden, und Handwerkskammern sowie Industrie– und Handelskammern unterstützen hierzulande jene Unternehmen, die Spezialisten aus dem Ausland einstellen wollen. “Doch öffentliche Anbieter tun sich schwer, den gesamten Prozess aus einer Hand anzubieten”, sagt Plünnecke.
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Die Sprache ist noch immer eine der größten Hürden für ausländische Fachkräfte. In jungen Start-ups oder Konzernen mag Englisch selbst in den Kaffeeküchen gesprochen werden, der deutsche Mittelstand tut sich damit schon in den Büros schwer. Auch deshalb legen viele Personalvermittler Wert darauf, dass Bewerber aus dem Ausland Deutsch schon in ihrer Heimat lernen und mit guten Kenntnissen ankommen.
Vielleicht halten sich die Arbeitgeber auch wegen der Sprachbarrieren noch zurück. Bei einer Befragung der IW Consult aus dem Jahr 2013 zogen weniger als 15 Prozent der vom Fachkräftemangel betroffenen kleinen und mittleren Unternehmen ausländische Bewerber überhaupt in Betracht, bei den Großunternehmen ist es immerhin ein Drittel.
Je größer aber die Not, desto eher scheinen auch die Firmen bereit zu sein, neue Wege zu gehen. In den deutschen Kindergärten jedenfalls, die wegen des massiven Ausbaus der vergangenen Jahre über viel zu wenig Erzieher klagen, scheint man ein Stück weiter zu sein. So weit, dass Nataliya Shevchenko dafür aus der Finanzbranche ausstieg und zur Unternehmerin wurde.
Die gebürtige Ukrainerin sucht mit ihrer Firma Begemot pädagogische Fachkräfte im Ausland, vor allem in Osteuropa – Ungarn, Slowakei oder Kroatien etwa. Gerade war sie zum ersten Mal auf einer Jobmesse in Polen. Um Fachkräfte zu finden, arbeitet sie mit Universitäten und Arbeitsagenturen zusammen. 14 Kunden hat das 2013 gegründete Unternehmen, darunter auch ein überregionaler Träger, der 150 Einrichtungen hat. 20 bis 24 Spezialisten zu vermitteln haben sich Shevchenko und ihre zwei festen und zwei freien Mitarbeiter für dieses Jahr vorgenommen, 16 sind es bisher. Die Jungunternehmerin hat die Geschäftsidee mit Kommilitonen in ihrem berufsbegleitenden Managementstudium an der Mannheim Business School entwickelt. Gegründet hat die 34-Jährige dann aber allein.
Ihr Geschäftsmodell: Die Kitaträger zahlen eine Pauschale von weniger als eineinhalb Monatsgehältern, wenn der neue Mitarbeiter anfängt zu arbeiten. Das ist für viele Träger zwar neu, doch gerade die Privaten sind hier offen. “Fast alle privaten Kindergärten würden Vermittlungsgebühren zahlen, weil Fachkräfte so rar sind”, sagt Philipp Haußmann, Chef des Bildungsunternehmens Klett, das Kitas betreibt und eine Tochterfirma hat, die ebenfalls in den Markt der Vermittlung von Fachkräften drängt. Auch andere Personalvermittlungen haben die Kita-Nische entdeckt.
Shevchenko hat von ihren Kunden erfahren, dass es genauso wichtig ist, die Mitarbeiter zu halten. Ihnen dabei zu helfen soll ihr zweites Standbein werden.